Storytelling: Wie Sie mit Geschichten die Urinstinkte Ihrer Kunden wecken

Dragan Popovic

Wie jage ich ein Mammut? Womit mache ich Feuer? Wie stelle ich scharfe Werkzeuge her und was muss ich tun, um blutrünstigen Säbelzahntigern zu entkommen? Wir können sicher davon ausgehen, dass dies die relevantesten Themen waren, die man sich vor Zehntausenden von Jahren in höhlenmenschlicher Runde am Lagerfeuer erzählte. Heute nennen wir es „Storytelling“.

Storytelling ist als Kommunikationsinstrument fast so alt, wie die Menschheit selbst. Höhlenmalereien sind hierfür das beste Beispiel, denn diese sind nämlich nichts anderes, als auf Stein festgehaltene Storys: "Best Practices" für das Überleben in einer unbequemen Welt.

70.000 und kein bisschen weise

Heute sind die Höhlen unsere E-Mail-Postfächer, Social-Media-Timelines, Onlineshops oder Werbeblocks in TV- und Radio – und die Malereien überfluten uns tagtäglich in Form von Sale-Kampagnen, Newslettern, Sonderangeboten, Gutscheinen und und und. Immer mehr Informationen, denen wir größtenteils schon aus Zeitgründen immer weniger Aufmerksamkeit widmen. Und jeder von uns kennt es: Wir ignorieren etliche News und Postings, klicken Banner weg und löschen Werbemails, ohne sie überhaupt gelesen zu haben.

Dennoch gibt es hier und da Momente, in denen wir an einem bestimmten Angebot oder an einer Info hängenbleiben und doch etwas genauer hinsehen. Woran liegt das? Dazu reicht ein Blick in die Vergangenheit: Was nämlich die Instinkte und Konditionierung betrifft, ist das menschliche Gehirn noch immer auf dem Stand von vor etwa 70.000 Jahren – Update dringend erforderlich. Unsere CPU ist zwar leistungsstark und komplex, eigentlich aber auch faul und besitzt einen etwas ängstlich programmierten Informationsfilter, der nur eines fragt: „Hilft mir dies, um zu überleben?“

Unser komplexestes Organ ist deshalb so einfach gestrickt, weil wir zum Zeitpunkt des letzten Hardware-Updates diejenigen waren, an denen wir heute an Geburtstagen, Jubiläen und zu Weihnachten verzweifeln: Menschen, die schon alles haben! Außer einem sicheren Unterschlupf, ausreichend Nahrung und der gesicherten Erbfolge gab es in den goldenen 70.000-ern vor Christus nicht sonderlich viel mehr, das man hätte haben müssen, geschweige denn Überstunden die man hätte machen können, um Luxusgüter anzuhäufen. Wenn unsere urmenschlichsten Bedürfnisse also instinktiv nicht auf Designer-Mammutfelle, High-End-Steinspeere oder Penthouse-Höhlen in Bestlage ausgerichtet waren, muss es darum gehen, den Status-Quo aufrechtzuerhalten, schlicht: zu überleben! Wie also könnte man in puncto Kaufverhalten und Conversions diesen tief in uns Menschen verankerten Instinkt besser wecken, als mit einer guten und vor allem gut erzählten Story?

Der Zwerghamster ist tot – was kann die Katze dafür?

Bevor wir eine Geschichte erzählen können, müssen wir wissen, was die Eigenschaften einer guten Geschichte sind und wie unser Gehirn sie wahrnimmt. Zunächst einmal macht es eine gute Story aus, dass sie ihr Publikum in den Bann zu ziehen weiß. Viel Spannung, große Konflikte, wohldosierte Verzögerungen, überraschende Wendungen und ein Happy End sind einige der Zutaten, die die Zuhörer bei Laune halten. Unsere Lieblingsserien auf Netflix & Co. spannen uns deshalb Folge für Folge auf die Folter, weil wir Geschichten lieben, die uns ein eigenes Kopfkino bescheren und uns inspirieren. Wir schauen uns sogar Filme an, deren Ende wir bereits kennen, nur um der Story und Filmatmosphäre wegen – oder geht die Titanic zum Schluss vielleicht doch nicht unter?

Das zweite wesentliche Merkmal guten Storytellings ist, dass Ursache und Wirkung für den Zuhörer oder Zuschauer unmittelbar klar sind. Wie ist die Ausgangslage, was passiert und wie hat sich die Ausgangslage zum Ende hin verändert? Es macht nämlich einen Unterschied ob etwas nach oder aufgrund eines bestimmten Ereignisses passiert ist. Die Sätze: „Wir haben jetzt eine Katze, unser Zwerghamster ist tot“ und „Wir haben eine jetzt eine Katze, seitdem ist unser Zwerghamster tot“ besitzen zwei völlig verschiedene Bedeutungen. Die Frage nach dem "Warum?" ist tief in uns verankert und als Erzähler der Story sind wir gut darin beraten, sie zu beantworten – Sie ist in Sachen Storytelling die wichtigste Frage. Spannung und Kausalität sind also zwei Grundsteine einer guten Geschichte.

Sie möchten mit Storytelling also potenzielle Kunden emotional fesseln, an die Hand nehmen und sie geschichtenerzählenderweise mit dem vollen Warenkorb auf dem Weg zur Kasse begleiten? Dann sollten Sie auch dafür sorgen, dass Ihr Kunde während seiner Customer-Journey ständig bei Ihnen bleibt. Vermeiden Sie jegliche Art von Ablenkung am Wegesrand, die ihn dazu bringen könnten, sich wie ein Kind von Ihrer Hand loszureißen und eigene Wege zu gehen – es ist allein Ihre Story!

Wahre Stimmungsvergifter im Verlauf einer Conversion sind Elemente in Ihrer Geschichte, die das Hirn Ihres Kunden nicht mehr auf emotionale Weise ansprechen, zum Beispiel

• Zahlen, Daten und Fakten
• Plattitüden und Binsenweisheiten
• Inkonsistenz und Logikfehler
• Peinliche Wortspiele und unglücklich konstruierte Slogans

Storys sollen das Kopfkino und das emotionale Zentrum in unserem Gehirn anregen. Sie sollen jedoch nicht dafür sorgen, dass das Gehirn neben alledem auch noch tatsächlich anfangen muss, zu arbeiten und damit zu beginnen, Ihre Geschichte analytisch zu durchzukauen. Der verführerische Kaufprozess, welcher noch bis vor kurzem einer romantischen Reise glich, wird sonst plötzlich zum ermüdenden Date mit einem Finanzbeamten im Vorruhestand und seien Sie sicher: Am Ende trinkt jeder seinen Kaffee bei sich daheim. Werfen Sie also alles an erzählerischen Liebestötern aus Ihrer Story, die auch nur annähernd für derlei Ablenkung sorgen könnten.

Die Hand ist dem Herzen buchstäblich näher als der Kopf

Herz schlägt Kopf

Ein renommierter deutscher Schuhfabrikant, der sich selbst im Premium-Segment sieht, textet auf einer Produktseite seines Onlineshops folgendes:

„Der elegante Schnürschuh […] überzeugt durch die kollektions-typischen hochwertigen Materialien und Verarbeitung. Die klassische Lyralochung gibt dem Schnürschuh extra Eleganz. Hochwertiges Leder und eine edle Ledersohle komplettieren den Klassiker. Ihr Business-Outfit mit Anzug wird mit diesem Modell perfekt ergänzt.“

Anschließend folgt eine mittellange, nüchterne Beschreibung des Herstellungsprozesses und man begnügt sich damit, in den übrigen Produktseiten lediglich den Modellnamen des Schuhs auszutauschen. Der Schuh, welcher eigentlich in der Premium-Produktlinie geführt wird, verkommt so mühelos zum austauschbaren Massenprodukt. Was, wenn sich jener Schuhhersteller im Rahmen des Marketingbudgets tatsächlich ein paar individuelle Produktbeschreibungen und sich obendrein noch ein Imagevideo gegönnt hätte, in dem weniger verfloskulierte Werbebotschaften und peinliche Wortspiele auf den Kunden abgefeuert werden? Was, wenn man tatsächlich die Kundenbedürfnisse in den Fokus genommen hätte, anstatt sich permanent selbst zu auf die Schulter zu klopfen?

Es ist immer leichter, auf Hochglanz und Selbstbeweihräucherung zu setzen, als auf die eigentlichen Bedürfnisse der Zielgruppe einzugehen. Erinnern wir uns noch einmal an das Programm unserer Höhlenmenschen-CPU im Kopf: „Hilft mir dies, um zu überleben?“, lautet die Frage. Wenn wir beim Schuhbeispiel bleiben möchten, so ist ein Premium-Business-Herrenschuh natürlich nicht dazu da, um hungrigen Säbelzahntigern zu entkommen. Doch in Branchen, in denen gehobene Dresscodes gelten, geraten Träger schlechter Schuhe zumindest in arge Bedrängnis. Warum also nicht mit dieser Trumpfkarte den Überlebensinstinkt im Kopf wecken? Anstatt sich in Allgemeinplätzen zu verlieren, könnte unser Schuhfabrikant könnte seinen Kunden in seinem Storytelling beispielsweise Folgendes klar machen:

„Niemals wieder werden Sie sich Ihr perfektes Outfit mit einem schlecht gemachten Schuh ruinieren. Alles, was Sie für den erfolgreichen Business-Alltag brauchen, ist ein handgefertigter, schwarzer Captoe-Oxford wie dieser.“

Die Ursache und Wirkung, die in dieser kurzen Story mitschwingen, sind für unser einfach gestricktes, höhlenmenschliches Angstzentrum völlig einleuchtend: Schlechte Schuhe --> Unsicherheit --> schlechter Auftritt im Job --> möglicher Ansehensverlust --> potenziell geschäftsschädigend --> potenzieller Jobverlust --> Ruin.

Gleichzeitig versteht unser Gehirn: Hochwertiger Schuh --> sicherer, souveräner Auftritt --> bessere Geschäfte --> Erfolg im Job --> hohes Ansehen in Beruf und Privatleben --> kauf' diesen Schuh!

Der Schuhfabrikant fungiert in dieser Story nicht als toller Hecht, sondern als Mentor, der den Käufer seiner Schuhe zum erfolgreichen Helden im harten, oberflächlichen Business macht. Aus der Customer-Journey wird eine Heldenreise. Bei seiner Conversion kauft der Kunde letztlich nicht nur einen Schuh, sondern ein gutes Gefühl, dank einer für ihn positiv im Gedächtnis verankerten Geschichte. Genau so entstehen starke Marken. Der Kunde kauft nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen. Und dieses ist seiner Hand – also dem Klick auf den „Jetzt kaufen“-Button – bekanntlich näher als der Kopf.

Kein Held ohne Schurke – kein Happy-End ohne Konflikt

Das wohl bedeutendste Element einer Story, um genau dieses belohnende Gefühl zu wecken, ist zweifellos der Konflikt, denn dieser gibt Aufschluss über das "Warum?". Ohne klare Ausgangssituation, Mission, Konflikt und Wendepunkt gibt es auch kein Happy-End. Je größer der Unterschied zwischen Ausgangssituation und dem Ende Ihrer Geschichte, desto stärker wird sie vom Zuhörer wahrgenommen und bleibt so im Gedächtnis. Stellen Sie sich also folgende Fragen: Ändert Ihr Unternehmen die Welt ihres Kunden zum Positiven? Löst Ihr Produkt ein Problem? Steht Ihr Kunde durch Sie besser da, als ohne Sie? Wie können Sie als Mentor Ihre Kunden dazu befähigen, scheinbar Unmögliches möglich zu machen? Versteifen Sie sich auch nicht ausschließlich auf das Produkt – denken Sie an die Frage nach dem "Warum?": Warum tun Sie das, was Sie tun und weshalb stehen Sie Tag für Tag auf? Kommunizieren Sie es!

Eine Lösung ohne Problem und eine Story mit Helden ohne Schurken entspricht hingegen nicht der Lebensrealität – abgesehen davon wäre sie sterbenslangweilig. Unser Angstzentrum sortiert derlei Geschichten direkt als unglaubwürdig, irrelevant und austauschbar aus. Höhlenmalereien sind schließlich auch keine Auflistung an Vorteilen der Mammutjagd und Mammutfleisch-USPs mit Bulletpoints und Tortendiagrammen. Gutes Storytelling lebt vom Auf und Ab, von spannenden Wendungen und vom Kampf zwischen Gut und Böse. Was wären schließlich Luke Skywalker ohne Darth Vader, James Bond ohne Dr. No oder Rocky Balboa ohne Ivan Drago?

Dieser Artikel erschien auch im ConversionMagazin, welches Sie unter www.conversion-magazin.de kostenlos downloaden können!