"Los, nimm diesen Content!" – Content Marketing mit der Brechstange

Dragan Popovic

Da war dieses Online-Marketing-Seminar. Es ist inzwischen schon ein paar Jahre her und ich war noch ziemlich neu in der Branche. So neu, dass ich den Begriff „Content Marketing“ damals erst noch googeln musste. Da saß ich mit über 300 anderen Menschen nun im Publikum, die allermeisten davon kleine und mittelständische Unternehmer sowie einige Marketingverantwortliche. Handwerksbetriebe, Kosmetikläden, Versicherungsmakler, kleinere Onlineshops und so weiter. Ich schien damals zumindest nicht der Einzige gewesen zu sein, der sich ein paar grundlegende Erkenntnisse über dieses scheinbar neuartige Ding namens „Content Marketing“ versprach. Zum Ende der Vorträge hin war ich allerdings auch nicht der Einzige, der innerlich auch mit einem Kopfschütteln nach Hause ging.

Hans-Dietrich Vs. Hornbach

„Mach einfach gute Inhalte“, haben sie gesagt. „Die Kunden dort draußen lieben hilfreichen Content“, haben sie gesagt. Packende Stories. Marken als Medien. Und irgendwas mit„Mehrwert“. Bitte keine Werbung, sondern gute Inhalte. Habe ich schon „Content is King“ erwähnt? Die ganze Bullshit-Bingo-Palette. So weit, so gut, in diesen Punkten waren sich alle Referenten einig.

Eine Referentin, deren Name mir inzwischen entfallen ist, fackelte ein wahres Feuerwerk an Beispielen ab, wie man erfolgreiches Content Marketing betreiben müsse: Fachartikel, Blogposts, Gastbeiträge, Ratgebervideos, Whitepaper, Forencommunities, Soziale Medien, Fallstudien, Podcasts, Apps auf allen Betriebssystemen, YouTube-Videokampagnen, Kunden- und Mitarbeitermagazine … Kostenlos, versteht sich. Ich meine, mich erinnern zu können, dass damals sogar schon von Influencern die Rede war.

Unternehmen müssten jetzt alle zu Medienhäusern werden, behauptete die Referentin. Und sie ließ auch nicht lange mit einem Musterbeispiel auf sich warten: Ein Video aus einer Tourismuskampagne. Von ihrer Agentur produziert. Monumentale Luftaufnahmen von Wasserfällen und zerklüfteten Berghängen. Professionelle Schauspieler, bekannte Werbestimme, makellose Produktion. Solche repräsentativen Musterbeispiele liebe ich ja. Wow – was das gekostet haben muss. Die Kosten allein für dieses zweieinhalbminütige Ding müssten locker dem Jahresumsatz eines mittelgroßen Unternehmens entsprochen haben.

Ja, Content Marketing kostet Geld, das wissen wir alle. Aber welcher normale Unternehmer sich so etwas auf legalem Wege leisten könnte, fragte ich mich damals schon. Ich möchte jedenfalls nicht wissen, wie viele der anwesenden Unternehmer, frustriert über diese Content-Marketing-Definition, nun doch wieder ein Anzeigenpaket bei ihrer Lokalpresse gebucht haben. Das passiert jedenfalls, wenn man dem Schreinermeister Hans-Dietrich weismacht, er müsse in Zukunft mit den Hornbachs und Obis dieser Welt mithalten.

Content mit der Brechstange

Muss denn nun wirklich alles High-End und optisch glattgebügelt sein? Und braucht man unbedingt mehrere Hunderttausend Euro für ein bisschen Content Marketing zwischendurch? Das könnte man meinen, denn in Diskussionen um dieses Thema werden immer wieder wieder Red Bull, Adidas, Coca Cola und weitere Milliardenkonzerne als Musterbeispiele herausgekramt. Doch weder Geld noch der Content allein sind ein Garant dafür, dass ein Unternehmen von seinen Kunden auch wertgeschätzt wird. Erst recht nicht, wenn man unter Druck wie am Fließband produzierte, schlimmstenfalls irrelevante Inhalte dahinfabriziert und mit der Brechstange verbreiten möchte. Es ist ja nicht nur so, dass nicht jeder von Ihnen gerade ein paar Millionen für eine virale YouTube-Kampagne übrig hat. Sie möchten auch keiner der Content-Discounter sein, der seinen Kunden Noname-Content-Fertigfraß auftischt.

Nicht selten wird eine wichtige Komponente vergessen, wenn es um die beschworene Nachhaltigkeit geht: SEO. Natürlich kann man Content auch mit Geld im Netz pushen. Doch wäre es nicht toll, wenn man sich genau dort nachhaltig positioniert, wo man auch gefunden werden möchte? Content Marketing und Suchmaschinenoptimierung gehören zweifellos zusammen, zumindest wenn man langfristig damit erfolgreich sein möchte. Jetzt ist SEO allerdings – wie jede Content-Strategie auch – ein fortwährender Prozess. Und überall, wo etwas langfristig geschieht, gibt es Ungeduldige. Mit Geld. Und denen gehen meist auch andere Dinge abseits der Content-Produktion nicht schnell genug, Interaktion zum Beispiel:

Ist Ihnen einmal aufgefallen, wie viele Gewinnspiele dieser Art in den Sozialen Medien inzwischen gepostet und beworben werden, um an Aufmerksamkeit zu kommen? Wie viele Sponsored Ads auf Facebook in der Timeline erscheinen? Hieß es nicht, dass sich guter Content schon wie von selbst teilen und viral gehen würde?

So dreht sich die Content-Spirale weiter und weiter. Mittlerweile dürfte auch die letzte Schlaftablette verstanden haben, dass dieses Ding namens Content Marketing irgendwie wichtig ist, doch es hat sich herausgestellt, dass die Devise „Viel hilft viel“ nicht unbedingt die beste ist. Warum? Die Empfängerseite ist längst mit einem Überangebot an Content konfrontiert: Noch eine dieser 10-Punkte-Listen mit irgendwelchen Allerwelts-Tipps, die man schon mindestens zehn Mal gelesen hat. Noch eine nichtssagende Infografik, die gestalterisch den Anschein macht, als sei sie für 10-Jährige konzipiert worden. Die Internetnutzer behandeln solche Inhalte inzwischen wie stinknormale Werbung und sehen bestenfalls nicht einfach mehr hin. Und wie reagieren die Unternehmen im Online-Wettstreit? „Wow, da ist so viel Content in allen Kanälen! Hey, wir produzieren einfach noch mehr! Eine Dose Content bitte! Los, Kunde, nimm diesen Content!“. Als wäre es Mastfutter.

„Was nix kost’…“

Man muss in dieser Situation wirklich kein Logikgenie sein, um festzustellen, dass das gute alte Angebot-Nachfrage-Spiel auch im Content Marketing gilt: Wenn es von einer bestimmten Sache eine ganze Menge gibt, doch die Nachfrage danach nicht mehr allzu hoch ist, wie verhält es sich wohl um den Preis für diese Sache, erst recht, wenn sie für den Empfänger ohnehin kostenlos ist? Richtig, er rutscht ins Negative.

Content-Produzenten sind heute mehr denn je dazu gezwungen, noch mehr Geld in die Verbreitung, sprich Werbung, hineinzubuttern, damit die Empfänger sie dafür mit ihrer Aufmerksamkeit bezahlen. Irgendwie ironisch, denn man wollte doch auf der Content-Schiene eigentlich ganz woanders hin. Vor allem weit weg vom klassischen Push-Marketing. Los, nimm’ diesen Content! Verrückte Welt.

Zurück zu den Basics

Was zu viel ist, ist zu viel. Das gilt auch für Content. Was können Unternehmen also tun, um die Probleme mit der Content-Schwemme zu überwinden? Folgende fünf Tipps, können Ihnen dabei helfen. Zugleich erfahren Sie, wie Sie Ihr Unternehmen und Ihren Content auch ohne Millionenbudget wirkungsvoll präsentieren können:

Tipp 1: Was, warum und wo?

Überdenken Sie einmal Ihre Content-Strategie! Gut und schön, wenn Sie überhaupt eine haben, doch welchen und wie viel Content müssen Sie wirklich unter’s Volk bringen? Wo ist Ihr Kunde wirklich unterwegs? Und: Interessiert es ihn, was Sie Ihm sagen möchten? Nicht Eitelkeit sondern Hilfsbereitschaft sollten das Hauptmotiv beim Erstellen von Inhalten sein. Stellen Sie dabei auch alte Reichweiten- und Traffic-Kennzahlen in Frage, wenn Sie sowohl beim Content als auch bei Ihren Leads mehr auf Qualität setzen wollen.

Tipp 2: Zuhören

Sie müssen aufstocken, und zwar an Informationen. Stellen Sie sich selbst die Frage: Was wissen Sie eigentlich wirklich über die Wünsche und Bedürfnisse Ihrer Kunden? Ein alter Satz aus dem Verkäuferbereich lautet: "Ein guter Verkäufer stellt die richtigen Fragen." Also erörtern Sie: Was ist für diese relevant? Für welche Zahnschmerzen haben Sie die passende Lösung? Hören Sie genau zu und versuchen Sie, ihre Zielgruppe noch besser zu verstehen. Kein Marketing-Tool und keine Agentur der Welt ist dazu in der Lage, jene Fragen herauszufiltern, die Ihnen Ihre Kunden immer wieder stellen. So sind Sie dazu in der Lage, Ihre Inhalte noch präziser zu adressieren und vermeiden langweiligen Allerweltscontent.

Tipp 3: Das eigene Content-Motiv hinterfragen

Seien Sie ehrlich: Wie steht es eigentlich um meine Content-Qualität? Erschaffen wir Content oder produzieren wir ihn bloß? Betreiben wir Content Marketing mit Leib und Seele oder mit Brechstange, Kalaschnikow und Feuerwehrschlauch, weil wir es scheinbar müssen? Niemand mag lieblos dahingeklatschte Inhalte. Überlassen Sie dies lieber weiter Ihren Wettbewerbern, die noch daran glauben, dass man alle Kanäle mit allerhand Content-Zeug fluten müsse.

Tipp 4: Einfachheit siegt

Setzen Sie mal auf einfache Inhalte. Denn wen wollen Sie beeindrucken? Etwa die eingangs erwähnte Referentin? Die Aufmerksamkeitsspanne Ihrer Kunden ist ohnehin zu kurz für schwere Kost. Verständliche Inhalte, die ohne Umwege auf konkrete Problemstellungen eingehen, sind nach wie vor Gold wert. Selbst dann, wenn das Handyvideo in der Werkstatt leicht verwackelt ist und Sie sich vor der Kamera nicht unbedingt oscarverdächtig präsentieren, machen Sie damit mehr Punkte beim Kunden, als mit einer Hochglanz-Kampagne, die einfach nicht Sie ist und einfach nicht nach Ihnen aussieht. Und sie außerdem ein Heidengeld kostet.

Tipp 5: Adieu, Corporate Bullshit

Einer der wichtigsten Punkte: Bleiben Sie authentisch. Verschwenden Sie Ihre Energie nicht damit, zu versuchen, möglichst wenig mit Ihrer eigenen Persönlichkeit anzuecken. Bleiben Sie der oder die mit den Ecken und Kanten, wenn Sie welche haben. Sie müssen sich garantiert nicht so aalglatt präsentieren, wie es milliardenschwere DAX-Konzerne aus klassischen Angeberbranchen Tag für Tag vormachen. Wen möchten Sie beeindrucken? Etwa die eingangs erwähnte Referentin? Man hört immer wieder: "Wir müssen uns vom Wettbewerb absetzen!" und im gleichen Atemzug: "Aber darf nicht von der Unternehmenskommunikation abweichen!"

Sofern noch nicht geschehen: Trauen Sie sich einmal, Sie selbst zu sein. Kunden mögen genau den Schreinermeister, der nach Schreinermeister klingt und nach Schreinermeister aussieht und möchten nicht mit einem Vision Clearance Engineer sprechen, wenn sie eigentlich einen Fensterputzer erwarteb. Wie jedes Unternehmen haben Sie außerdem auch eine Geschichte – und mithilfe von Storytelling können Sie diese nicht nur wirkungsvoll erzählen, sondern Ihren Kunden verdeutlichen, wofür Sie wirklich stehen. Sind Sie hier schon auf dem richtigen Weg? Finden Sie es heraus und werfen Sie doch einmal einen Blick auf Ihre eigene "Über uns"- oder "Philosophie"-Seite!

Oder horchen Sie mal in sich selbst hinein. Wie lautet denn Ihre Antwort, wenn Sie jemand an der Bar fragt: "Und was machen Sie so?" Jede Wette nicht: "Wir bieten unseren Kunden proaktive Lösungen und marktgerechte Innovationen, die ganz auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Stakeholder zugeschnitten sind. Individueller Service ist für uns selbstverständlich." Es sei denn, Sie möchten das Gespräch schnell beenden. Seien Sie dazu in der Lage, Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung in nicht mehr als sagen wir 90 Sekunden zu erklären, sodass dass es wirklich jeder Mensch versteht. Denn dann haben Sie schon bessere Karten als viele Milliardenunternehmen und andere Firmen die sich weiter selbst brav auf die Schulter klopfen und davon überzeugt sind, die Kunden kämen schon auf sie zu.

Dieser Artikel erschien auch im ConversionMagazin, welches Sie unter www.conversion-magazin.dekostenlos downloaden können!